Markus Lüpertz


©akg-images
©akg-images

vita


Frühe Jahre & Ausbildung
1941–1961
Geboren am 25. April 1941 in Reichenberg (heute Liberec, Tschechien). 1948 Umsiedlung der Familie nach Rheydt bei Mönchengladbach. Frühe Schulabbrüche und Umwege: eine Lehre als Etikettenmaler scheitert, ein Gebrauchsgraphiker geht pleite. Studienbeginn 1956 an der Werkkunstschule Krefeld bei Laurens Goossens. Eine prägende Zwischenstation folgt im Kloster Maria Laach – eine „fanatisch religiöse Zeit“, in der sich erste intensive künstlerische Auseinandersetzungen verdichten, u. a. mit Kreuzigungsdarstellungen. Kurzes, konfliktreiches Intermezzo an der Kunstakademie Düsseldorf – Lüpertz wird exmatrikuliert. Parallel dazu körperliche Arbeiten im Bergbau und Straßenbau – existenzielle Erfahrungen als Fundament für die spätere Kunst.

 

West-Berliner Bohème & künstlerische Selbstverortung
1962–1974
1962 Umzug nach West-Berlin – bewusste Flucht vor dem Wehrdienst, aber auch Hinwendung zur Freiheit der Kunst. Erste Impulse durch die dortige Bohème-Szene. Mitgründung der Künstlerinitiative Großgörschen 35 – eine Selbsthilfegalerie als alternatives Modell zum etablierten Kunstbetrieb. Lüpertz entwickelt die Bildformel des „dithyrambischen“ Malens – eine Form zwischen antiker Ekstase und archaischer Wucht. 1970 erhält er den Villa-Romana-Preis und verbringt ein Jahr in Florenz – Konfrontation mit der Ästhetik von Macht und Monumentalität im Faschismus und der verdrängten NS-Vergangenheit. Erste Gedichtpublikationen, Beginn einer konsequenten künstlerischen Mehrsprachigkeit aus Bild, Wort und Geste.

 

Lehre, Literatur & Durchbruch
1974–1986
1974 Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe – ein Wendepunkt: „Karlsruhe war für mich die erste Freiheit“, so Lüpertz. Die künstlerische Lehre wird zum gleichwertigen Bestandteil seines Selbstverständnisses. Publikation zahlreicher Gedichte und Prosatexte – das Schreiben wird integraler Teil seines Werks. Sommerakademie Salzburg, Reisen nach Amerika, künstlerische Reaktionen auf urbane Reizwelten. In diesen Jahren formt sich ein stabiler Werkbegriff, der Malerei, Bildhauerei, Sprache und Mythos zu einem Gesamtkunstdenken verbindet.

 

Rektorat & künstlerische Institutionalisierung
1986–2009
Ab 1986 Professur an der Kunstakademie Düsseldorf, 1988 Wahl zum Rektor – eine der prägendsten Rektoratszeiten im Nachkriegsdeutschland. Lüpertz besetzt Professuren mit international renommierten Künstler:innen und sichert das klassische Meisterklassenprinzip. Zugleich bleibt er produktiver Künstler: Teilnahme an der Biennale Venedig, zahlreiche Einzelausstellungen, intensive Zusammenarbeit mit Kollegen wie Baselitz, Penck und Kiefer. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Lüpertz zum „Malerfürsten“ stilisiert – eine selbstironisch angenommene, aber auch strategisch kultivierte Rolle zwischen Genie-Behauptung und bewusstem Pathos.

 

Späte Jahre & Interdisziplinarität
2009–heute
Nach dem Ende des Rektorats bleibt Lüpertz aktiv als Maler, Bildhauer, Dichter und Musiker. Er veröffentlicht Lyrik, spielt Free Jazz, gründet eine Kunst- und Literaturzeitschrift („Frau und Hund“) und inszeniert 2021 erstmals eine Oper („La Bohème“) – als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner. Er lebt und arbeitet in Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf, Florenz und Teltow. Der Glaube, insbesondere der Katholizismus, wird zur ideellen wie ästhetischen Ressource. Körperkult, Selbstinszenierung und Disziplin begleiten seine Idee vom freien, schöpferischen Menschen.

 

   

Werk


 Markus Lüpertz' Werk ist ein kompromissloses Plädoyer für die Autonomie der Kunst – ein bildnerischer Kosmos, der sich bewusst der Eindeutigkeit verweigert. In seinem Schaffen verschmelzen Figuration und Abstraktion, Mythos und Gegenwart, Pathos und Ironie. Der Begriff des „Dithyrambischen“, den er selbst prägte, steht exemplarisch für diese Haltung: ein rauschhaftes, archaisch aufgeladenes Malen, das nicht Abbild, sondern Ausdruck sucht – jenseits von Stil und Mode.

Seine Bildwelt ist bevölkert von Helden, Uniformierten, antiken Fragmenten, Architekturzitaten – stets monumental, oft bewusst „unzeitgemäß“. Dabei geht es nicht um Narration, sondern um Form – das „Was“ ist dem „Wie“ untergeordnet. Lüpertz' Arbeiten sind keine Geschichten, sondern Denkfiguren. Er malt nicht nur, was er sieht – er malt, was er denkt, weiß und glaubt. Seine Werke stehen in der Tradition der europäischen Malerei – Cézanne, Picasso, Beckmann, aber auch Nietzsche, Hölderlin und der katholische Bildkanon hallen nach.

Als Bildhauer überträgt er seine malerischen Prinzipien in den Raum: monumentale Bronzeplastiken, die antike Formzitate mit expressiver Körperlichkeit verbinden. Lüpertz operiert mit Brüchen und Übertreibungen – bewusst anti-perfekt, widerständig. Seine Skulpturen wirken wie gefallene Götter oder neuzeitliche Totems, getragen von einem Willen zur Form und einem Glauben an die Wirkkraft des Bildes.

Lüpertz ist ein Solitär – als Künstler, Lehrer, Autor und Performer. In einer Zeit der Ironie und Dekonstruktion hielt er unbeirrt an der Idee der großen Kunst fest: heroisch, sinnlich, metaphysisch. Seine Kunst ist kein Kommentar, sondern eine Setzung. Ein Ereignis, das fordert, provoziert – und bleibt.

Mit über sechs Jahrzehnten Werk, zahllosen Ausstellungen, Gedichtbänden, Plastiken im öffentlichen Raum und einer intensiven Wirkung als Lehrer zählt Markus Lüpertz zu den wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der Nachkriegskunst – in Deutschland wie international.