FRITZ WINTER


Lebenslauf


  •  1905 geboren am 22. September in Altenbögge als erstes von acht Kindern
  • 1924 erste Mal- und Zeichenversuche; Arbeit unter Tage als Elektroschlosser; Arbeitslosigkeit und Vagabondage durch Holland; wachsendes Interesse für Malerei; Auseindandersetzung mit Vincent van Gogh und Paula Modersohn-Becker
  • 1927-1930 Studium am Bauhaus in Dessau bei Josef Albers, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Joost Schmidt, Paul Klee u.a.
  • 1928 Einzelausstellung im Bauhaus; Ausstellung "Junge Bauhaus-Maler" in Halle, Braunschweig, Erfurt, Krefeld
  • 1929 Ausstellung in der Galerie Wiltscheck in Berlin; Ausstellung der "Juryfreien" in Sonderräumen in Berlin; Ausstellung "Freie Meisterklassen am "Bauhaus" im Gewerbemuseum in Basel; Einzelausstellung bei der Buchhandlung Heintz, Neu und Zahn in Davos
  • 1930 Ausstellung in der Kunststube Buchholz in Berlin; Ausstellung "Junge deutsche Kunst" in der Kunsthalle Düsseldorf
  • 1929-1932 wiederholte wochenlange Aufenthalte bei Ernst Ludwig Kirchner und Erna Kirchner in Wildboden bei Davos
  • 1930 freie künstlerische Tätigkeit in Berlin mit Franz Ehrlich und Heinz Loew als Gruppe "Studio Z"; Mitarbeiter im Atelier von Naum Gabo
  • 1931-1933 Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Akademie in Halle; Reise nach Norditalien
  • 1931 Einzelausstellung in der Galerie Ferdinand Moeller in Berlin
  • 1933 Ausstellung "Zeitgenössische deutsche Kunst aus Privatbesitz" im Kunsthaus in Zürich
  • 1933-1935 Umsiedlung mit Klaus-Dietrich Schreiber und Margarete Schreiber-Rüffer nach Allach bei München
  • 1936 Endgültige Wohnstatt in Dießen am Ammersee
  • 1937 Malverbot
  • 1939-1949 Einberufung zum Kriegsdienst; während der Kriegszeit immer wieder Heimat- und Genesungsaufenthalte wegen zahlreicher Verwundungen
  • 1946-1949 Beteiligung an internationalen Kunstausstellungen durch Initiative von Frau Schreiber-Rüffer
  • 1949 10. Mai Rückkehr aus der Gefangenschaft
  • 1950-1955 durch Reisen (Frankreich, Italien) und Ausstellungen Beteiligung an der internationalen Kunstszene; Mitbegründer der Gruppe "ZEN 49"; 2. Preis der Biennale Venedig 1950; 2. Ströher-Preis für gegenstandslose Malerei Darmstadt 1950; Domnick-Preis Stuttgart 1951; 1. Preis des Deutschen Künstlerbundes Berlin 1951; Preis der Ausstellung "Eisen und Stahl" Düsseldorf 1953; Gastdozent an der Landeskunstschule Hamburg, 1953; Eheschließung mit Frau Schreiber-Rüffer, 1953
  • 1955 Berufung zum Professor an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Kassel; Premio Lissone
  • 1956 Cornelius-Preis der Stadt Düsseldorf
  • 1957 Internationaler Graphik-Preis Tokio; Preis der Internationalen Bau-Ausstellung Berlin; Preis der "Association Belge des Critiques d´Art"
  • 1958 Preis der Weltausstellung Brüssel; Kunstpreis der Stadt Berlin; Premio Marzotto Mailand (2. Preis); Tod von Frau Winter-Rüffer
  • 1959 längere Krankheit; Eheschließung mit Waltraud Schreiber
  • 1965/66 erste große Retrospektive Ausstellung zu seinem 60. Geburtstag (Wanderausstellung)
  • 1969 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
  • 1970 Ende der Professur in Kassel; Winter zieht sich nach Dießen zurück
  • 1971 Orden Pour le mérite
  • 1974 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern; Tod von Frau Schreiber-Winter
  • 1974/75 Schenkung einer großen Anzahl von Bildern an den Galerieverein München; Einrichtung des Fritz-Winter-Hauses in Ahlen, Westfalen
  • 1976 1. Oktober Tod Fritz Winters
  • 1977 Rubenspreis der Stadt Siegen, posthum verliehen

    Arbeiten von Fritz Winter sind ständig in der Galerie Kley in Hamm ausgestellt.

Werk


 

Fritz Winter im Bauhaus in Dessau

 

Fritz Winter kam mit autodidaktischer künstlerischer Vorbildung ans Bauhaus. Erhalten sind wenige Gemälde und mehrere Zeichnungen aus der Zeit vor dem Bauhaus, die seinen Wunsch nach einer expressiven Gestaltung deutlich zum Ausdruck bringen. Sein Zeichenlehrer an der Hauptschule in Ahlen förderte Winters drang, sich bildnerisch auszudrücken, und Winter selbst hatte auf seiner "Vagabondage" durch Holland die Auseinandersetzung mit der Kunst van Goghs gesucht. Dennoch gab es weniges, das ihn zum Künstler im akademischen Sinne prädestinierte -um so mehr aber zum "Bauhäusler". Das Bauhaus richtete sich gerade an die "Jungen Menschen", für die es ein äußerst variables Programm anbot: Sowohl zum Architekten, Industriedesigner, Weber als auch zum Freien Künstler konnte man sich ausbilden lassen. International bekannte Professoren und Lehrer sowie ein vielseitiges Begleitprogramm an Vorträgen und anderen Veranstaltungen waren die Grundlage für eine anspruchsvolle Ausbildung.

 

Die Lehrer Fritz Winters im ersten Semester 1927 waren Josef Albers und Wassily Kandinsky (Form- und Farbenlehre). Josef Albers hatte 1923 in Weimar als Jungmeister den Vorkurs über­nommen. Seine immerhin achtzehn Unterrichtsstunden wöchentlich waren ein wichtiger Beitrag für die Übermittlung pädagogischer Intentionen des Bauhauses. Mit präzisen Lehrmethoden strebte er an, die Studierenden des ersten Semesters auf die spätere handwerkliche Arbeit in den einzelnen Bauhaus-Werkstätten vorzubereiten. Sie lernten die wichtigsten Werkstoffe wie Holz, Metall, Glas, Stein, Stoff, Farbe, auf elementare Weise zu gebrauchen. Von seinem Vorgänger Moholy Nagy bereits formulierte Begriffe von Textur, Struktur und Faktur erweiterte er zu einem pädagogischen Konzept.

 

Auch Fritz Winter mußte diesen Grundkurs durchlaufen, der bei aller didaktischen Programmatik und Strenge dennoch als wichtiges Ziel das "Wachsenlassen aus eigener Wurzel" verfolgte.

 

Auch die Farb- und Formlehre Wassily Kandinskys gehörte zur obligaten Unterrichtung. Unter verschiedenen Aspekten wurde der Umgang mit Farbe von Grund auf vermittelt und varianten­reich erprobt. Es ging unter anderem um Untersuchung der Farbe als solcher -ihres Wesens und ihrer Eigenschaften- sowie um organische Zusammenstellung der isolierten Farbe mit der ihr ent­sprechenden primären Form. Diese Grundfragen zur Farbe wurden mit Fragen zur Materialbeschaffenheit verbunden. In dem Unterricht von Wassily Kandinsky liegt wahrscheinlich die gute handwerkliche Ausbildung Winters begründet. Seine Kenntnis vom Verhalten der Farbe, auch als Malmaterial verstanden, war -bei aller Experimentierfreude- oft von erstaunlicher Sicherheit. Er folgte hierin Kandinsky, der forderte: "Die einzelnen Verwendungen der Farbe verlangen ein spezielles Studium: des organischen Bestandes der Farbe, ihrer Lebenskraft und ihrer Lebensdauer, der Möglichkeit des Bindens -dem konkreten Fall entsprechend-, der damit natürlich verbundenen Technik der Art des Auftrags der Farbe -dem gegebenen Zweck und dem Material entsprechend-, der Zusammenstellung des Farbpigments mit anderen farbigen Materialien wie Stuck, Holz, Glas, Metall usw."

 

Aus diesen Aussagen Kandinskys und Albers wird deutlich, daß mit "Beackern" des Feldes durch­aus ein "Ackern" der Studenten verbunden gewesen sein muß.

 

Neben dem recht unkonventionellen, von abstrakten Formen ausgehenden Unterricht gab bis zu seinem Weggang 1929 Oskar Schlemmer die Kurse "Akt- und Firgurenzeichnung" sowie "der Mensch". Die Darstellung des menschlichen Körpers wurde -trotz Antiakademismus am Bauhaus- nicht aufgegeben. 1928 belegte Fritz Winter die für das dritte Semester obligaten Kurse. Schlemmer unterrichtete aber nicht im naturalistischen Sinne, sondern schematisierte die Darstellung des Aktes mit Linie und Fläche nach Zahl, Maß und Proportion. Der Kurs über den Menschen erweiterte die mehr technischen Überlegungen ins Philosophische: "...für das ’neue Leben’, das sich als modernes Welt- und Lebensgefühl darstellen soll, ist die Kenntnis des Menschen als kosmischem Wesen unerläßlich."

 

Höchstwahrscheinlich verdanken wie diesen beiden Kursen im Jahre 1928 die zahlreichen Arbeiten Fritz Winters, die sich mit "dem Menschen" beschäftigen. Es wird allerdings auch deutlich, daß der Ansatz Fritz Winters nicht die Lehre von Proportion, Zahl und Maß in einem mathematischen oder klassischen Sinne in sich trägt, sondern daß er direkt von einer expressiven Deutung ausgeht. Winter hat, wenn man allein das Technische betrachtet, wenig von Schlemmers Grundkurs über­nommen. Was ihn allerdings bei seinem Lehrer interessiert haben mag, sind die Überlegungen zum Menschen als sozialem Wesen und in seinem Verhältnis zum Umraum. Der Mensch wird auch bei Winter meist allgemein und abstrakt gesehen.

 

Fritz Winter arbeitete im Jahr 1928 hauptsächlich im Medium der Zeichnung: Es entstanden wenige Aquarelle, dann Kohle- und Tuschezeichnungen, Gouachen, Pastellbilder, Ritzzeichnungen und auch schon Ölfarbzeichnungen und monotypische Druckverfahren, u.a. in Kombination mit Kohlezeichnungen.

 

Es geht in diesen Arbeiten nicht um Erfassung des realen organischen Aufbaus von Körpern, sondern um einen bestimmten Ausdruck, der nur durch spontane, unakademische formale Mittel erreicht werden kann. Es geht um eine mögliche Deutung des Menschen in einer Gemeinschaft, z.B. als kreativ offene oder rätselhafte, scheinbar mächtige Gruppe.

 

Als Oskar Schlemmer 1929 das Bauhaus verließ, übernahm Joost Schmidt zum Teil dessen Arbeitsbereich. Fritz Winter mag schon früher Kontakt zu dem am Bauhaus besonders von den Schülern geschätzten "Form- und Werkmeister" der plastischen Werkstatt gehabt haben, aber erst 1929 arbeitete er in dessen Werkstatt, möglicherweise in der Abteilung "Metall". Joost Schmidt beschäftigte sich dort vor allem mit bewegten Skulpturen und skulpturalen Assemblagen, die zu "mechanischen Schaufenstern" oder zur Bühne erweitert wurden. Die geometrischen, plastischen Formen wie Kubus, Pyramide, Zylinder, Kugel und Kegel waren entweder Ausgangspunkt für Skulpturen oder wurden durch Flächen, die in schnelle Rotation versetzt wurden, optisch herge­stellt und fotografisch festgehalten. Um den konstruktiven Aufbau einer Körper-Raum-Skulptur offenzulegen, benutzte er gespannte Fäden zwischen zwei flächigen Elementen. Durch deren Drehung kamen dann neue, geometrisch klare Raumwirkungen zustande. Dabei war die tatsächli­che oder nur visuelle Durchdringung verschiedener Ebenen und Räume eine wichtige Erfahrung, um skulpturale Vogänge im Raum zu begreifen.

 

Die geschilderten Verfahren greift Winter in einigen seiner Monotypien auf, wie z.B. in der soge­nannten "Bauhaustreppe", die von architektonischen Elementen bestimmt ist. Hier zeigen sich die Verspannungen, die Drehungen, die allerdings keinen Körper, sondern eine große Raumwirkung hervorrufen. Winter geht - wie schon bei seinen anderen Vorbildern - weit über ein gewohntes Schülermaß hinaus. Das Ziel der Kurse nimmt er als Anfang für seine weitergehenden Überlegungen.

 

Heinz Loew, ein Mitstudent Fritz Winters, interpretierte Joost Schmidts kunsttheoretisches pädagogisches Ziel folgendermaßen: "Es geht nicht mehr nur um "autonome Kunst", auch nicht um "Kunst am Bau", sie hat ein anderes Lehrziel: erwecken, entwickeln, intensivieren des räumli­chen Vorstellungsvermögens, des bewußten Erlebens räumlicher Sinneswahrnehmungen und rea­lisieren räumlicher Vorstellungen...".

 

Fritz Winter besuchte Paul Klees Kurse seit dem zweiten Semester. In ihm fand er den "Meister", der ihm -um es salopp zu sagen- "noch etwas beibringen konnte" und der ihm die stärksten Anregungen für seinen künstlerischen Werdegang gab.

 

Paul Klee förderte bei seinen Schülern besonders deren Eigenständigkeit. Daß er Winters Arbeiten gerade wegen seiner innovativen Ansätze schätzte, zeigen die relativ häufigen, zum Teil auch privaten Kontakte zu diesem eigentlich sehr reservierten Lehrer. Felix Klee erinnerte sich im Gespräch mit Helmut Reuter an sonntägliche Besuche Fritz Winters und wiederholte Diskussionen um künstlerische Belange. 1920 bereits ans Bauhaus nach Weimar berufen, hatten Paul Klee und Wassily Kandinsky erst beim Umzug nach Dessau (1926/27) seine pädagogischen Aufgaben sehr ernst genommen und sie in den elf Jahren am Bauhaus auf über viereinhalbtausend Manuskriptseiten für den Unterricht minutiös ausgearbeitet und immer weiterentwickelt.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt kam bei Klee noch zum Tragen, nämlich der der Genesis, der Entstehung einer künstlerischen Arbeit. "Wir untersuchen Wege, die ein anderer beim Schaffen seines Werkes ging, um durch die Bekanntschaft mit den Wegen selber in Gang zu kommen. Es soll uns diese Art von Betrachtung davor bewahren, das Werk als etwas Starres, unverändert fest Stehendes aufzufassen."

 

Als Vorbild für den künstlerischen Schaffensprozeß sah er das natürliche Wachsen, nicht nach der Natur, sondern "wie die Natur" sollte ein Künstler arbeiten. Und weiterhin sah er die Beobachtung der Natur, die Einführung in die ihr innewohnenden Kräfte als Voraussetzung für bildnerisches Arbeiten. Dieses Zusammenwirken der natürlichen Kräfte griff Winter vor allem in Ölgemälden auf, um es zu verbildlichen. Dabei war es sicher kein Zufall, daß er keine reine Landschaft wieder­gab, sondern in Stilleben mit Blumen den Menschen, vor allem das Kind, mit einbezog. In bewun­dernswerter Weise gelang es Winter in "Kind in der Landschaft", die Vorstellung vom ursprüngli­chen, kreativen Chaos mit geometrisch-ornamentalen Elementen zu ordnen, besser gesagt zu schmücken. Zwischen Horizontlinie und vertikalen, architektonischen Linien und Flächen ist -etwa im "Goldenen Schnitt"- bedeutungsvoll das Oval des kindlichen Kopfes eingebettet. Die Farbenvielfalt entspricht dem fast vorschöpferischen Zustand von Einheit, der keine Hinweise auf Licht und Schatten und keine unterschiedliche Bewertung von Farbwerten aufkommen läßt. Die Bestimmung von Gegenständen, sogar die Unterscheidung von Haus, Weg, Wasser, Blume fällt schwer, obwohl es deutlich genug ist, daß es sich um ein "Mädchen im Dorf" handelt. Mit Konsequenz wagt sich Winter an das Thema vom tatsächlich ursprünglichen Chaos und erster Kreativität. Die "Blüten" aus dem Jahr 1929 betonen hingegen die einem bildnerischen Weltentwurf innewohnenden Kraftfelder. Hier verlaufen die Linien weitaus abstrakter, strukturie­ren und vernetzen das Bild, ohne dabei im einzelnen Rücksicht auf die Bildgegenstände zu neh­men. Die Farben beschränken sich auf die Primärfarben und die Sekundärfarbe Grün sowie auf Schwarz und Weiß. Winter erfaßt hier die Welt der Farben nicht durch ihre Vielzahl, sondern durch deren Grundwerte. Zwei Stilleben von 1930 führen die Tendenz zur Abstraktion und Vereinheitlichung weiter fort, und die Ölzeichnungen auf deren Rückseiten deuten diese Entwicklung zur völligen Lösung vom Gegenstand bereits an. Vielleicht kommt Winter hier den Ideen von Kandinsky nahe, der ebenfalls für seine umfassenden, ins Kosmische weisenden Überlegungen in den Bereich der gegenstandsunabhängigen Zeichen, Formen und Farben gelangte.

 

Die Orientierung an der Natur, ihren Energien, ihrer Architektur, sowie das Zusammenwirken der einzelnen Phänomene zu einem Kreislauf, einem Gesamtspiel der Kräfte, das waren Inhalte, die Winter auch später immer wieder aufgriff.

 

Es gab einen Aspekt, unter dem Klee und Kandinsky die genannten Werte zusammenfaßten und den Winter ebenfalls verfolgte. Dies war der musikalische Aspekt. Fritz Winters Zugang zur Musik war primär nicht ein "erkennender", sondern ein "erlebter". Er war ein Tanzbegeisterter, der bei Schlemmers Ballett mitmachte und die samstäglichen Veranstalungen mit der Jazz-Bauhaus-Kapelle nicht ausließ. Sein bildnerischer Gestaltungsprozeß, besonders in den Jahren 1928/29, läßt ein rhythmisches Schwingen der Linie -manchmal in einem Zug- erkennen sowie thematische Bezüge zum Tanz und zur Musik.

 

Gerade die weitgehend abstrakten Monotypien zeigen jene systematischen und doch frei schwin­genden Linienbündel, die allein schon in ihrer Reihung an Notenlinien erinnern. In rhythmischen Schwüngen werden die Kammlinien über das Blatt geführt, und ihre Verläufe stellen eine zeitliche Dimension her, die mit der Entwicklung von Musik vergleichbar ist.

 

In den Jahren, die Fritz Winter am Bauhaus zubrachte, leitete Hannes Neyer das Institut. Seine Grundsätze werden in einem Brief vom 16.2.1927 an Walter Gropius, seinem Vorgänger, deutlich: "Die Grundtendenz meines Unterrichts wird absolut eine funktionell-kollektivistisch-konstruktive sein."

 

Meyer sah sich als Initiator einer neuen Phase, in der sich das Bauhaus den Problemen des Lebens und der Gesellschaft zuwenden sollte. Als Folge dieser Auffassung setzte er -in Übereinstimmung mit der Studentenschaft und einem großen Teil der Meister- eine Neuorganisation des Bauhauses durch. Im Gegensatz zur Haltung von Walter Gropius ließ Hannes Meyer eine Politisierung des Bauhauses zu, versuchte jedoch, sowohl linke wie rechte Einflußnahme zurückzudrängen. Dennoch fand in seiner Amtszeit eine stark kommunistisch orientierte Politisierung der Studenten statt, die Meyer immer mehr in Gegensatz zur Stadt Dessau brachte und schließlich zu seinem Rücktritt führte. Die sogenannten "kommunistischen Zeilen" hatten die geistige und organisatori­sche Leitung übernommen und drängten politisch weniger handelnde Studenten, die eher aus handwerklichen oder künstlerischen Gründen das Bauhaus besuchten, hinaus.

 

Fritz Winter griff als agiler, selbsbewußter Student mit einem Artikel in der Zeitschrift "bauhaus" in die Diskussion um die neue, materialistische Orientierung ein. Zwar war auch er sozialistisch-kommunistischer Überzeugung, jedoch galt sein größtes Interesse der Erhaltung der künstlerischen Freiheit. Er gehörte eigentlich nicht zur neuen Generation der Studenten, sondern zu den traditio­nellen Bauhäuslern, die das Bauhaus zu dem gemacht oder stilisiert haben, was wir heute darunter verstehen. Winter bezeichnete sich damals als Romantiker -wie Felix Klee gegenüber Helmut Reuter erwähnte-, und dies ist wahrscheinlich im ideellen Sinne zu verstehen. Er glaubte an die natürlichen Kräfte, die auch das Dasein des Menschen bestimmen. Weitab jeder "Modernität", jeder konstruktivistisch-abstrakten Geistigkeit entwickelte er seine Menschenbilder, die stets etwas diesseitig Gebundenes verkörpern. Das Abbilden kann -darf sogar- dabei keine Rolle spielen, um nicht die Darstellung von inneren Vorgängen zu überlagern.

 

Winters Beschäftigung mit ausdrucksstarken künstlerischen Mitteln ließ ihn mit Persönlichkeiten Verbindung aufnehmen, die nicht zum Kreis der Bauhaus-Künstler gehörten, wie Ernst Ludwig Kirchner, der seinerseits Paul Klee und das Bauhaus schätzte. In zahlreichen Briefen Kirchners wird dessen langwährendes Interesse an Paul Klees Kunst deutlich, jedoch treffen sich beide Künstler erst 1933.

 

Kirchner hielt wahrscheinlich in diesen Jahren deshalb so viel vom Bauhaus, weil er dort seine Utopie von der Küstlergemeinschaft und ähnlichen pädagogischen Konzepten verwirklicht sah. Aus einem Brief an Winter wird seine Sehnsucht nach Künstlerfreuden und gemeinsamem Leben ersichtlich: "Ach, ich beneide Sie, dass Sie wieder so im Leben schwimmen können." (3. Sept. 1929 an Fritz Winter in Dessau).

 

Aus dem Briefwechsel von Kirchner mit Winter wird von Anfang an -der erste Brief Kirchners an Winter ist vom 27. April 1929- das gegenseitige Interesse deutlich. Der Kontakt kam zustande, nachdem Winter ihm eine Ausgabe der Zeitschrift "Der Kunstnarr" mit Reproduktionen seiner Arbeit geschickt hatte. Nach seiner Meinung gefragt, urteilte Kirchner sehr einfühlsam: "Bei Ihnen habe ich den Eindruck, daß Sie mit reichen Anlagen ausgerüstet sind und oft fast nervös suchen nach einer Ihnen adäquaten Gestaltung Ihrer Gesichte. Sie wollen über ihre Lehrer hinaus und kommen dabei an Grenzgebiete..." (30. April 1929 an Winter).

 

In einem weiteren Brief vom 29. August 1929 ging Kirchner auf Arbeiten Winters ein, die wäh­rend seines ersten Aufenthaltes in Wildboden entstanden waren: "Sie haben in die letzten Blätter, die Sie hier machten, zu viel ausgestossen, was Sie quält." Es ist erstaunlich von einem expressio­nistischen Künstler zu lesen, daß Winter zu viel Wert auf den inneren Ausdruck legte. Diese Bemerkung wirft ein Licht auf Kirchners Entwicklung zu mehr abstrakt-formalen Überelgungen und auf Winters deutlichen Hang zur Expressivität. Andererseits muß festgestellt werden, daß die bis dahin wilde, möglichst wenig gelenkte Linienführung im Jahre 1929 eine Straffung und Richtung erhielt. Erinnerte die unorthodoxe Linienführung und der flächige Bildaufbau im Jahre 1928 eher an Gestaltungsweisen, die von Kinderzeichnungen inspiriert waren, so ist der Einfluß von außereuropäischer Kunst in den Bildern des Jahres 1929 unübersehbar. Die Figuren -jetzt oft einzeln, ohne szenischen Zusammenhang- erhalten eine fast kultische Aura. Mit verschränkten Beinen in Sitzposition und eher als Ornament denn als Figur aufgefaßt, konzentrieren sich die Linien und bilden in sich geschlossene Systeme.

 

Winter greift hier auf Kulturerscheinungen zurück, mit denen -wie bei den Kinderzeichnungen- das Attribut der Ursprünglichkeit verbunden ist. Die damalige Kritik hat Winter die Beschäftigung mit afrikanischer Kunst und mit der Kunst der Südseeinseln als Unselbständigkeit vorgeworfen. Es ist jedoch der "Zeitgeist", der aus der Wahl der künstlerischen Mittel spricht, nicht eine Abhängigkeit von seinen Lehrern.

 

Kirchner erkannte Winters Leistung durchaus und bestätigte ihn in einem Brief vom 12. November 1930 in seinem Weg: "Lassen Sie sich nur durch Zeitungsgeschwätz in Ihrer Arbeit nicht irrema­chen...Wenn Sie Ihr eigenes Erlebnis so gut Sie es können gestalten muss doch etwas Eigenes herauskommen. Es ist so eine Perversität in Deutschland, dass den Jungen ihre Lehrer immer wieder vorgeworfen werden...Die erste Ausstellung wo man z.B. Sie und Klee nebeneinander zeigt, wird die Unterschiede offenbar machen..."

 

Die Wege, die Fritz Winter in seinen Jahren am Bauhaus beschritt, waren durchaus selbstbewußt gewählt. Er war nicht eigentlich Schüler von Klee, Kandinsky, Kirchner, sondern "Bauhäusler". Er nahm Anregungen aus Quellen auf, die ihm geeignet erschienen. Oft waren dies Quellen, die im Ideellen, Gedanklichen und nicht so sehr im Bildnerischen auf die Lehrer verwiesen. Klee-Schüler im Einzelgang - und von Kirchner wurde er stets als selbständig, fast als zu selbstbewußt einge­schätzt.

 

Der Abschied vom Bauhaus fiel Winter einerseits leicht, da sich die Verhältnisse in dieser ehemali­gen "Kreativ-Fabrik" geändert hatten, andererseits waren die neuen Lebens- und Arbeitsumstände in Berlin für ihn nicht erfreulich. Sie führten erst einmal zu einer empfindlichen Schaffenskrise. Die Großstadt konnte Winter nicht nur nichts geben, sie schadete ihm. Erst als er 1931/32 seine Lehrtätigkeit in Halle aufnahm, war er wieder zu neuem, selbstbewußtem Schaffen fähig, indem er an seine Erfahrungen aus der Bauhauszeit anknüpfte.

 

Das Bauhaus, eigentlich mehr eine Kunst- und Gewerbeschule, brachte Fritz Winter als einen der ganz wenigen freischaffenden Künstler mit späterem internationalem Rang hervor.

 

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