Horst Janssen


Leben und Werk


Horst Janssen gehört zu den herausragendsten  Zeichnern und Grafikern des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1929 in Wandsbeck bei Hamburg geboren. In Oldenburg aufgewachsen, kam Janssen 1945 nach Hamburg, wo er im folgenden Jahr mit seinem Studium an der Landeskunstschule bei Alfred Mahlau begann. Hier wandte er sich unter dem Einfluß seines Lehrers schon früh Illustrationen, Holz- bzw. Linolschnitten und vor allem der Zeichnung zu, die sein weiteres künstlerisches Werk bestimmte. 1952, ein Jahr nachdem er die Kunsthochschule verlassen mußte (und 1954/55), erhielt er in Aschaffenburg die Möglichkeit, großformatige Lithografien zu zeichnen, in denen er die gesamte ihm zur Verfügung stehende Fläche für die Darstellung ausnutzte. In den monumentalen Farbholzschnitten der 50er Jahre gelang Janssen eine eigenständige Bildsprache, in der großflächige figural-gegenständliche Abstraktionen mit kleinteilig strukturierten Flächen kontrastiert wurden (Die Brücke, 1958; Chamäleon, 1961).

 

Mit dem Beginn der Radierungen Ende der 50er Jahre wurde die bisher überwiegende Flächenhaftigkeit von den grafischen Möglichkeiten der Linien verdrängt, die sich bis Mitte der 60er Jahre stilistisch und, in der Verdichtung der Formen, auch formal kompositorisch an den Arbeiten von Jean Dubuffet orientierte. Thematisch waren es, neben Porträts und Selbstbildnissen, groteske figürliche Szenen (Tischgesellschaft, 1959) aus dem Kneipen- und Prostituiertenmilieu. Einen Hauptschwerkpunkt im Werk Janssens bildeten seit Anfang der 60er Jahre die obsessiv entstandenen Selbstporträts, in denen er sich auf unterschiedlichste Weise, z.T. in selbstzerstörerischer Sezierung, darstellt (z.B. Radierungen zu Hannos Tod, 1972; Paranoia, 1982). 1970 wandelte sich sein Werk grundlegend, wenn auch die Selbstbildnisse weiterhin in großer Anzahl entstanden. Nun wurden >die krüppelhaften Gnome, die geilen Sybillchen< des Frühwerkes gegen die Darstellung von Landschaften und gegen sogenannte Kopien ausgewechselt, die in umfangreichen Serien entstanden und publiziert wurden. In den Kopien eignete sich Janssen stilistische und motivische Merkmale von kunstgeschichtlichen Vorbildern (u.a. Botticelli, Piranesi, Meryon, Goya sowie ost-asiatische Kunst) an, die er im folgenden paraphrasierte und immer wieder variierte. Dabei erhält insbesondere in den neueren Arbeiten die Farbe ein stärkeres Gewicht.

 

In einem wichtigen Hauptwerk, den 15 blattgroßen Radierungen der 1980 entstandenen Suite Nigromotanus, vereinen sich unterschiedliche, für das Werk Janssens typische Elemente. Grundlage bildet Ernst Jüngers Text, der, abgeschrieben – also kopiert - und im Druck spiegelbildlich wiedergegeben, zur unlesbaren grafischen Struktur wird. Immer wieder durchsetzt und überlagert von Stilleben unterschiedlicher Größe und kaum erkennbaren figürlichen Details aus historischen Anatomien, legt diese virtuose Text-Bild-Symbiose die subtilen, höchst persönlichen, aber ebenso verschlüsselten Symbole eines spielerischen wie tragisch existentiellen Werkes offen.

 

1990 war ein unheilvolles Jahr für Janssen: Am 19. Mai 1990 stürzte er mit dem Balkon seines Hauses aus 3,40 m Höhe in die Tiefe, mitsamt den Gefäßen, in denen er die für seine Radierungen benötigten Säuren verwahrte. Die Folge: Nicht nur Schädelplatzwunde, Schienbeinfraktur und doppelter Beckenbruch, sondern beiderseitige „Hornhautverätzung“, wie der Unfallbericht von D. Hallermann festhält (abgedruckt auf der Innenumschlagklappe von Horst Janssens Der Foliant). Darin stattet Janssen einen höchst anschaulichen und sensiblen Bericht in Wort und Bild ab über „den Leidens- und Heilungsprozess in den folgenden Wochen und Monaten“ und „über das allmähliche Wiedererwachen der physiologischen und künstlerischen Sehfähigkeit“ – „ein außergewöhnliches Kompendium zu Kunst und Medizin“, wie der Arzt und Kunsthistoriker Axel Hinrich Murken vermerkt.

 

Der Hamburger Künstler schafft in vielen seiner Werke karge, nahezu groteske Landschaften, in denen sich Abstraktion und Gegenständliches verbinden. Einige Elemente wirken morbid – sie erinnern an abgestorbene Pflanzen und Äste und skeletthafte, ummantelte Gestalten. Janssen eignet sich stilistische und motivische Merkmale von kunstgeschichtlichen Vorbildern (u.a. Botticelli, Piranesi, Meryon, Goya, Munch, Dürer sowie ost-asiatische Kunst) an, die er im Folgenden paraphrasiert und immer wieder variiert. Er schafft eine phantastische Welt, die bizarre Elemente enthält, dennoch handelt es sich nicht – wie bei seinen Vorbildern – um mythische Themen, Traumwelten, alttestamentlichen Fabeln oder  apokalyptischen Visionen.  Janssen spielt  lediglich vereinzelt mit derartigen Motiven. Sein Hauptaugenmerk liegt in der detaillierten und fein strukturierten Darstellung eines beobachteten Augenblicks. Dabei verbindet der Künstler künstlerische Tradition mit lebendiger, individueller Kunst, welche von dem Betrachter als charakteristisch für Horst Janssen gelten sollte. Auf diese Weise vermag der Künstler Kunst der klassischen Moderne mit Gegenwartskunst zu verbinden.

1995 verstarb Janssen in Hamburg an den Folgen eines Schlaganfalls.

 

Arbeiten von Horst Janssen sind ständig in der Galerie Kley ausgestellt.

bestand (auswahl)


HORST JANSSEN, Brief an Mynher Henri Nannen zu Emden, Original Radierung “Claudia” + Heft, 1988, n.n., 29,5 x 22,8 cm